Es geht weiter mit der kleinen Reihe der Persönlichkeitstests. In den vergangenen regulären Folgen habe wir uns bereits mit dem DISG-Modell und dem MBTI beschäftigt. Beide Persönlichkeitstests hinken bei der Betrachtung der Wissenschaftlichkeit hinterher. Bedeutet: Ihr könnt der Aussage und den Ergebnissen kaum bis gar nicht vertrauen.
Hört gerne noch einmal in die Folgen rein, wenn Euch interessiert, was an diesen Tests problematisch ist.
Heute sprechen wir aber über das komplette Gegenteil. Wir reden über den Gold-Standard der Persönlichkeitsforschung und zwar über die Big Five. Die Big Five Persönlichkeitsfaktoren sind durch eine Vielzahl von Studien belegt und werden in verschiedenen Fragebögen erfasst.
Big Five gehen im NEO-PI-R auf
Der wohl populärste Fragebogen ist der NEO-PI-R. Die Abkürzung lässt sich so erklären. NEO steht für drei der Persönlichkeitsfaktoren (Neurotizismus, Extraversion und Offenheit), PI für Persönlichkeitsinventar und das R steht für revidierte Fassung. Entwickelt wurde der Test von Paul T. Costa und Robert R. McCrae und umfasst 240 Items.
Den Test gibt es auch in einer Testversion und nennt sich dann NEO-FFI. Wenn Du den Test machen möchtest, musst du dafür bezahlen
Bevor ich näher auf den Test eingehe, möchte ich eine kurze Erklärung der Big Five einschieben. Auch wenn die Faktoren sehr gut erforscht sein mögen, möchte ich sie euch kurz vorstellen, damit ihr wisst, über was hier eigentlich gesprochen wird.
Die Entwicklung der Big Five begann bereits in den 1930er Jahren mit dem lexikalischen Ansatz. Dieser Ansatz geht von der Annahme aus, dass alle wichtigen Persönlichkeitseigenschaften umgangssprachlich durch Eigenschaftsworte der jeweiligen Sprache repräsentiert sind.
Aus Tausenden von Adjektiven zur Bezeichnung der Persönlichkeit haben Psychologen mit Hilfe statistischer Verfahren die entscheidenden Dimensionen ermittelt. Aus den ca. 18.000 Begriffen wurden die gängigsten Wörter zu einer Liste gebündelt und Personen gebeten, aus dieser Liste die Wörter zu wählen, die sie selbst und andere am besten beschreiben. Dabei erkannte man Wörter, die immer wieder zusammen mit anderen genannt wurden, z.B. kontaktfreudig und gesellig, woraus sich fünf große Gruppen zusammenhängender Wörter gebildet hatten.
Big Five unterscheiden sich in Normstichprobe
Ganz wichtig für die Big Five und auch den Test ist folgendes: Für alle diese Persönlichkeitsmerkmale gilt die so genannte Normverteilung. Das bedeutet, dass die meisten Menschen sich ungefähr im mittleren Bereich – der Balance – einer Eigenschaft befinden. Eine hohe oder niedrige Ausprägung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Werte der Person sich signifikant vom Durchschnitt der jeweiligen Normstichprobe (Normwert) unterscheiden.
Und die folgenden Faktoren sind dabei herausgekommen:
- Extraversion: Neigung zur Geselligkeit und zum Optimismus à folgende Unterkategorien unterteilt: Herzlichkeit/Wärme, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit/Entschlossenheit, Aktivität, Erlebnishunger und Frohsinn.
- Hohe Ausprägung:
- Bedeutet: Energie nach außen richten und kontaktfreudig sein.
- Eigenschaften: aktiv, gesellig, gesprächig, heiter, positive Emotionen zeigend.
- Niedrige Ausprägung:
- Bedeutet: Energie auf sich selbst richten und zurückhaltend sein.
- Eigenschaften: zurückhaltend, ruhig, still, gerne allein, reserviert, evtl. schüchtern.
- Offenheit: Neigung zur Wissbegierde, Interesse an neuen Erfahrungen à Sicher kann man sagen, das Menschen mit hoher Offenheit an neuen Erfahrungen und Erkenntnissen interessiert sind und sich gerne in ungewöhnliche und komplexe Dinge hineindenken, während Menschen mit geringer Ausprägung lieber bei altbewährten Lösungen bleiben.
- Hohe Ausprägung – theoretisch denkend:
- Bedeutet: sich für Neues, Ungewöhnliches und geistige Aktivitäten interessieren.
- Eigenschaften: offen für Neues, vielfältig interessiert, intellektuell, unkonventionell, fantasievoll.
- Niedrige Ausprägung – praktisch denkend:
- Bedeutet: Bei bisherigen Erfahrungen bleiben, und dem was man kennt.
- Eigenschaften: konventionell, bodenständig, sachlich, traditionell, konservativ.
- Verträglichkeit: Neigung zum Altruismus, zur Kooperation und Nachgiebigkeit à Ein hohe Verträglichkeit steht für kooperatives, freundliches Verhalten und generelles Vertrauen anderen Menschen gegenüber, während Personen mit niedriger Verträglichkeit eher schlechte Absichten bei anderen vermuten, sich ihren Mitmenschen gegenüber härter und unnachgiebiger verhalten, und auch Konfrontationen nicht scheuen. Sie stellen ihre Interessen vor die anderer, sind eher Einzelkämpfer als Teamplayer. Man geht davon aus, das dies daher kommt, dass sie sich nicht so gut in andere Menschen hineindenken und einfühlen können – was Menschen mit hoher Verträglichkeit leichter fällt.
- Gewissenhaftigkeit: Neigung zur Disziplin, zu hoher Leistungsbereitschaft Leistung, zur Zuverlässigkeit à Menschen mit niedriger Gewissenhaftigkeit lassen sich leicht ablenken, machen gerne das, was ihnen gerade einfällt, und lassen die Dinge einfach auf sich zukommen. Menschen mit hoher Gewissenhaftigkeit arbeiten dagegen beharrlich auf ihre Ziele hin, achten dabei mehr auf Details, handeln strukturiert und überlegt. Der Kern dieser Eigenschaft liegt in der Selbstkontrolle
- Hohe Ausprägung: Geplant leben und zielstrebig vorgehen, bei der Sache bleiben
- Niedrige Ausprägung: spontan leben und sich leicht durch momentane Bedürfnisse ablenken lassen
- Neurotizismus: Neigung zu emotionaler Labilität, Ängstlichkeit und Traurigkeit à Empfindliche Menschen sind häufiger nervös, reagieren schneller und stärker auf Stress, Probleme, Gefahren und negative Gefühle. Sie haben eine dünne Haut, ihre Emotionen nicht so gut im Griff, und leiden teilweise langfristig in Form von Depressionen oder Ängsten an ihrer Empfindlichkeit. Menschen mit niedrigem Neurotizismus haben dagegen symbolisch gesprochen eine dicke Haut und werden von negativen Einflüssen daher weit weniger mitgenommen. Sie sind emotional widerstandsfähiger.
- Hohe Ausprägung: empfindlich sein auf negative Gefühle und Einflüsse reagieren
- Niedrige Ausprägung: Resistent sein gegen negative Einflüsse haben
- Hohe Ausprägung – theoretisch denkend:
- Hohe Ausprägung:
Kommen wir nochmal zum Fragebogen dem NEO-PI-R
Der NEO-PI-R ist mit 240 Items ein sehr umfassender Test, so dass die fünf Faktoren noch jeweils in sechs Unterskalen, auch Facetten genannt, unterteilt werden. Die Facetten finden sich in den eben genannten Definitionen wieder. Jede Frage im Test wird mittels einer fünfstufigen Likert-Skala beantwortet: SA: starke Ablehnung, A: Ablehnung, N: neutral, Z: Zustimmung, SZ: starke Zustimmung
Die Testgütekriterien sind für Test in zahlreichen Studien erforscht worden, so dass die Verfahren als objektiv (in der Durchführung, der Auswertung und in der Interpretation. Es gibt Standards und Hinweise wie der Test zu bearbeiten, auszuwerten und zu interpretieren ist),
Der Test ist aber auch reliabel (zuverlässig), z. B. im Hinblick auf die Stabilität der Ergebnisse, wenn man den Test zu einem späteren Zeitpunkt nochmal wiederholt, und valide (wirksam, gültig) angesehen werden.
Falls ihr euch in 2024 stärker mit eurer Persönlichkeit auseinandersetzen wollt, findet ihr im NEO-PI-R ein gutes und nutzbares Instrument. Der NEO-PI-R kann sowohl als Einzel- als auch Gruppentest vorgegeben werden und dauert für gewöhnlich zwischen 30 und 40 Minuten. Wie bereits erwähnt, ist der NEO-PI-R kostenpflichtig. Allerdings gibt es auch kostenfreie Fragebögen, die sich mit dem Big Five Modell befassen. Einen Link der Uni Leipzig findet ihr in den Shownotes.
Allerdings gibt es auch hier ein paar graue Wolken der Kritik:
Kritisch gesehen wird z. B. der lexikalische Ansatz. Es wird immer wieder in Frage gestellt, ob diese Wörter und Begriffe ausreichen, um eine Person vollständig zu beschreiben.
Ein weiterer Punkt ist, dass die Big Five nicht theoretisch begründbar sind. Wie ihr z. B. beim MBTI erfahren habt, hat dieser Fragebogen die Theorien von Jung als Basis. Eine solche Theorie gibt es bei den Big Five nicht. Eine Theorie würde den Faktoren Sinnhaftigkeit und Plausibilität verleihen. Aus diesem Grund diskutiert man nicht nur häufig über die Anzahl der Faktoren, sondern findet in Studien auch immer mal wieder weitere oder eben weniger Faktoren. Der lexikalische Ansatz sorgt dafür, dass die Beschreibungen auf einer sehr hohen Flughöhe vorgenommen wurden und somit leichter zutreffen als eng entwickelte Konstrukte. Einfach ausgedrückt: Wenn ihr spazieren geht und es beginnt zu regnen, dann passen unter einen großen Regenschirm mehr Leute als unter einem Kleinen.
Auch die unterschiedliche inhaltliche Interpretation wird häufig kritisiert. Die Forscher sind sich bezüglich der Beschreibungen und der Bezeichnung oftmals nicht einig. Die Frage ist also immer wieder: Was ist hier genau gemeint. Dieser Kritikpunkt macht Sinn, denn es ist ja gar nicht so einfach, so schwierige Definitionen wie die Persönlichkeit auf einen Begriff zusammen zu stampfen. Ihr solltet auch wissen, dass sich die Definitionen der Big Five im NEO-PI-R auch von den ursprünglichen Big Five Modell unterscheiden.
Binden wir das Ganze heute ab und fassen nochmal zusammen
Die Big Five haben den Vorteil, dass sie wissenschaftlich sehr fundiert sind. Es gibt wortwörtlich tausende von Studien, die sich mit den Big Five und ihren Auswirkungen auf unser Leben beschäftigen. Kein anderes Persönlichkeitsmodell genießt auch nur ansatzweise eine solch universelle Anerkennung. Nachteile sind die positiv bzw. negativ geprägten Sichtweisen der fünf Faktoren, so wie Streitpunkte einiger Detaildefinitionen.
Das war nicht nur die Folge zum Thema Big Five und NEO-PI-R, sondern auch meine kleine Reihe zu den Persönlichkeitstests. Wie hat sie dir gefallen?
Wenn Du dich fragst, wovon ich rede, dann schau nochmal im Podcastfeed nach und höre die beiden vorherigen Folgen zu diesem Thema.
Und wo eine Reihe endet, muss eine Neue starten. Schreibe mir gerne über welches Thema ich in 2024 stärker reden sollte. Ich freue mich auf deine Vorschläge.
Mir bleibt nicht mehr viel übrig als euch eine schöne Restwoche zu wünschen. Bis zur nächsten Folge
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