Zuhören, Fragen, Führen
Ein neuer Job kann das Leben verändern. Aber was ist mit den Menschen, die systematisch schlechte Karten haben, wenn sie sich um einen Job bewerben? In einer Meta-Analyse aus den USA finden Quillian und Kolleg*innen (2017) keine Veränderung der Diskriminierung gegenüber „People of Color“ seit 1989. Und auch in Deutschland sieht es nicht viel besser aus. Zschirnt und Ruedin (2016) fassen in ihrer Meta-Analyse zusammen, dass Menschen mit Migrationshintergrund durchschnittlich 50% mehr Bewerbungen schreiben müssen, um einen positiven Rückruf zu erhalten. 2021 fanden Thijssen und KollegInnen heraus, dass es für Bewerbende mit türkischer Herkunft 11% weniger wahrscheinlich ist in Deutschland einen positiven Rückruf auf Ihre Bewerbung zu erhalten.
Die Daten weisen auf zwei Formen der Diskriminierung hin.
- Statistische Diskriminierung: Zu Beginn eines Auswahlverfahrens hat der Recruiter nicht alle Informationen zusammen, um eine Aussage über die Produktivität bzw. die Leistung des Bewerbenden zu treffen. Diese Aussage leitet die Person sich her aus anderen Merkmalen, wie z. B. die soziale Schicht oder die Herkunft, her.
- Taste-based Diskriminierung beschreibt direkte Vorurteile, die zu einer Herabwürdigung eines Bewerbers oder einer Bewerberin führen. Da wären wir dann im Bereich des Rassismus oder des Sexismus.
Damit wir besser darauf achten, unseren Vorurteilen keinen freien Lauf zu lassen, spreche ich heute über unbewusste Vorurteile oder die sog. Unconscious Bias.
Was ist Unconscious Bias?
Der Begriff „Bias“ stammt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie Voreingenommenheit oder Vorurteil. Vorurteile kann man z.B. einer Situation, Person oder Gruppe gegenüber haben und sie können von Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen vertreten werden. Die Folgen solcher Vorurteile oder auch „Verzerrungseffekte“ können sich für die betreffenden Gruppen oder Personen negativ, aber auch positiv auswirken.
Bias‘ resultieren meist aus stereotypen Wahrnehmungen, die wir als Denk- und Reaktionsmuster aus eigenen Vorerfahrungen oder Berichten anderer ableiten, um schneller auf neue Informationen reagieren zu können. Sie rühren von der menschlichen Tendenz her, die Komplexität sozialer Welten durch Kategorisierungen zu reduzieren.
Was bedeutet das?
Unser Unterbewusstsein ist ständig damit beschäftigt, riesige Mengen an Informationen zu verarbeiten und nach Mustern zu durchsuchen. Wenn das Unterbewusstsein feststellt, dass zwei Dinge zusammen auftreten (z. B. viele männliche Führungskräfte oder viele weibliche Krankenschwestern), beginnt es zu erwarten, dass sie zusammen gesehen werden, mit dem Ergebnis, dass andere Muster oder Kombinationen sich weniger „normal“ anfühlen und schwerer zu verarbeiten sind.
Bestimmte Situationen können Unconscious Bias stärker hervorrufen als andere. So können sich beispielsweise Zeitdruck oder Multitasking auf die Notwendigkeit zur Komplexitätsreduktion verstärkend auswirken. Die Ironie dabei ist, dass Vorurteile und Diskriminierung unvermeidliche Nebenprodukte der Effizienz der menschlichen Wahrnehmung sind. Problematisch ist ebenfalls, dass unser Unterbewusstsein uns zu falschen Antworten verleitet und zu schnell dem Instinkt folgt.
Beispiel gefällig?
Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10€. Der Schläger kostet 1€ mehr als der Ball. Wie teuer ist der Ball und der?
Gebt mir die Antwort hier in den Kommentaren. Jetzt sind die Fragen nicht immer so einfach, wie die Frage nach dem Preis für den Ball. Insbesondere im Recruiting bzw. im Auswahlprozess läuft man Gefahr, dass die Entscheidung einem Unconscious Bias unterliegt.
Ich stelle Euch nun einige Bias‘ vor:
- Solo-Effekt: Der kann auftreten, wenn es in einer Gruppe nur eine Person mit bestimmten sozialen Merkmalen gibt. (z. B. mehr Männer als Frauen) Eine einzelne Bewerberin kann in einer Gruppe von Mitbewerbern beispielsweise benachteiligt werden, weil sie aufgrund ihrer geschlechtlichen Zuordnung besonders sichtbar wird und ihre Arbeit unter Umständen kritischer beurteilt wird. Abweichungen von der Mehrheitsgruppe werden so besonders hervorgehoben und häufig werden diese Personen auf Stereotype reduziert (Sekaquaptewa & Thompson 2002 und 2003).
- Confirmation Bias: Der bezeichnet die Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie auf den eigenen Wünschen, Überzeugungen und Vorurteilen beruhen. Dies kann bei der Einstellung von Mitarbeiter*innen schon zu Beginn des Prozesses eine Rolle spielen, wenn beim Durchsehen der Lebensläufe erste Meinungen über die Kandidat*innen gefasst werden, die auf Informationen wie Namen, Herkunft, Schulbildung usw. beruhen. (z. B. Menschen, die nur eine Ausbildung haben, seien schlechter als Menschen mit Studium, wenn Recruiter selbst studiert hat.
- Halo Effekt: Der Halo-Effekt führt eine weitere Art von kognitiver Verzerrung ein: Basierend auf einem allgemeinen positiven Eindruck von einer Person oder ihrer Kompetenz in einem bestimmten Bereich besteht die ungerechtfertigte Tendenz, anzunehmen, dass sie über ebensolche Fähigkeiten in anderen Bereichen verfügt (Balzer & Sulsky, 1992).
- Gruppendenken: GRUPPENDENKEN kann sich darin äußern, dass Menschen dazu neigen, sich ähnlich wie die Menschen um sie herum zu verhalten, unabhängig von den eigenen persönlichen Überzeugungen. So kann es in Recruiting dazu kommen, dass eine einzelne Meinung über eine*n Bewerber*in durch die Äußerungen der anderen Mitglieder unbewusst so beeinflusst wird, dass sie mit der Meinung der Mehrheit übereinstimmt und Gegenteiliges gar nicht mehr geäußert wird.
Was kann man gegen den Unconscious Bias tun?
Welche Ideen habe ich zur Vermeidung von Unconscious Bias im Berufsalltag:
- Förderung des Bewusstseins: Gespräche über Unconscious Bias machen deren Existenz deutlich und sorgen dafür, dass sich Personalverantwortliche ihrer möglichen Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung bewusst sind. Indem wir das Vorhandensein von Unconscious Bias anerkennen, machen wir den ersten Schritt, um ihren Einfluss zu bekämpfen und zu minimieren.
- Barrieren abbauen: Indem wir das Thema offen diskutieren, schaffen wir einen sicheren Raum, in dem Einzelpersonen Erfahrungen austauschen, Annahmen in Frage stellen und gemeinsam auf gerechtere Einstellungspraktiken hinarbeiten können.
- Förderung der Reflexion: Das Gespräch über Unconscious Bias regt zur Selbstbeobachtung und Selbstreflexion an. Es veranlasst die Einstellungsteams, ihre eigenen Vorurteile zu untersuchen, blinde Flecken aufzudecken und ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, wie Vorurteile ihre Entscheidungsprozesse beeinflussen können.
- Förderung der Verantwortlichkeit: Gespräche über Unconscious Bias fördern die Rechenschaftspflicht innerhalb von Organisationen. Indem wir uns selbst und unsere Kollegen für den Umgang mit Vorurteilen verantwortlich machen, schaffen wir eine Kultur, in der Fairness, Vielfalt und Einbeziehung geschätzt und aktiv angestrebt werden.
- Stärkung des Wandels: Sinnvolle Gespräche über Unconscious Bias befähigen uns, Maßnahmen zu ergreifen. Sie rüsten uns mit dem Wissen, den Einsichten und den Werkzeugen aus, die notwendig sind, um integrative Einstellungsstrategien umzusetzen, Voreingenommenheit zu bekämpfen und ein Umfeld zu schaffen, in dem Talente ohne Einschränkungen gedeihen.