Appreciative Inquiry (AI) – die Kraft und Weisheit von Erfolgen nutzen
Stärken Stärken ist ein wichtiger Baustein guter Führung. In vielen Führungssituationen passiert es aber, dass man sich auf Probleme fokussiert und die Lösungen bzw. die Ressourcen einer Person außer Acht geraten.
In der heutigen Folge geht es um das Appreciative Inquiry oder anders gesagt, um wertschätzende Interviews. Ich schildere dir ein Vorgehen, dass Dir und Deinen Mitarbeitern hilft, mehr auf die Stärken zu achten.
AI basiert im Wesentlichen auf folgenden Grundannahmen:
- Menschen und soziale Systeme entwickeln sich immer in die Richtung, in die sie ihre Aufmerksamkeit lenken.
- Jeder Mensch, jede Beziehung und jedes System hat ungeahntes und ungenutztes, positives Potenzial, das gelegentlich zum Vorschein kommt.
- Menschen gehen mit mehr Vertrauen und Wohlbehagen in die Zukunft, wenn sie Vergangenes fortsetzen.
- Wenn wir Vergangenes fortsetzen, sollte es das Beste aus der Vergangenheit sein.
- Vergangenheit und Gegenwart sind reich an positiven Erfahrungen und Erkenntnissen und können unerschöpfliche Quellen für Entwicklung, Leistung und Erfolg sein.
Die Methode wurde Mitte der 80er Jahre von Dr. David L. Cooperrider und Dr. Suresh Srivastva an der Case Western Reserve University in Ohio entwickelt.
Der Erfolg und die hohe Wirksamkeit von Appreciative Inquiry sind mittlerweile auch neurobiologisch zu erklären: Menschen engagieren sich dann für Entwicklung und Veränderung, wenn man sie einlädt, ihnen Mut macht und sie inspiriert. Und sie brauchen die Möglichkeit, selbst wirksam zu sein.
Wie kann ich Stärken stärken? Konkrete Einsatzmöglichkeiten
Ich empfehle das AI in vielen Führungssituationen.
Da sind die bspw. die 1:1 Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeitende, aber auch der Teamworkshop mit dem Thema Veränderung oder Organisationsentwicklung.
Ich persönlich nutze das AI für meine Coachings aus den bereits genannten Gründen. Ich will das meine Klienten sich auf ihre Stärken konzentrieren und diese wieder bewusst nutzen.
Stärken stärken heißt, folgende Themen im Fokus zu haben:
- Veränderungsprozesse
- Innovationspotenziale fördern
- Teamentwicklung
- Führungskräfte-Entwicklung
- Mangelnde konstruktive Kommunikation
- Umgang mit Konflikten
- Kundengewinnung/ Kundenbeziehungen
Wirkmechanismen im konventionellen Ansatz
Bitte nicht falsch verstehen, mit dem Ruf „Stärken stärken“ will ich nicht dazu aufrufen, Fehler oder Probleme nicht mehr zu benennen. Allerdings erlebe ich bei der Problemdiskussion recht häufig ein Vorgehen, dass niemanden wirklich hilft, nämlich die Suche nach dem Schuldigen.
Hat man diese Person dann gefunden, fehlt die Energie und die Aufmerksamkeit, eine Veränderung zu entwickeln.
Insbesondere in Teamworkshops ist so etwas Gift. Fühlt sich erstmal eine Person an den Pranger gestellt, kann die ganze Stimmung kippen. Für alle anderen ist das das Signal keinen Fehler mehr ans Tageslicht zu bringen. In gar nicht so wenigen Fällen übernimmt dann auch niemand mehr Verantwortung für sein Handeln, aus Angst, dass Fehler entstehen.
Ein weiterer Aspekt ist die Problemschleife – Im Coaching heißt „Problem talk creates problems – solution talk creates solution. Heißt: Wenn ich über Probleme spreche, dann finde ich mit großer Wahrscheinlichkeit auch neue Probleme. Dies lenkt den Fokus auf das, was man nicht (mehr) will, anstatt auf die Kraft für Wachstum und Entwicklung. Die Stimmung geht in den Keller und der Energielevel für kreative Lösungen sinkt.
Wertschätzender Ansatz lässt Stärken stärken
Ganz anders beim wertschätzenden Ansatz
Hier werden Fragen verfolgt, wie:
- Wo liegt eigentlich jetzt schon eine Stärke?
- Welche Potenziale hast du oder haben wir als Team?
- Was gibt uns eigentlich Energie?
Ziel ist es, dass für Dein Mitarbeiter oder Dein Team oder auch für dich persönlich Kompetenzen nutzbar werden, die du auf andere Bereiche übertragen kannst.
Die Folge sind positive Nebenwirkungen wie Stärke, Selbstsicherheit, Kompetenz, Inspiration, Engagement und deren Wirkung im gesamten System.
Der Fokus bleibt auf dem, was erreicht werden soll, und bei dem, was gemeinsam entwickelt wurde.
Der Energielevel und die Voraussetzung für zielführende, kreative Schritte sind ungleich höher..
Alle Beteiligten konzentrieren sich auf das, für was sie sich einsetzen wollen – selbst in „stürmischen Zeiten” und wenn die Situation aktuell schwierig ist.
Der Prozess Stärken stärken mit dem Appreciative Inquiry
Der Prozess, in dem sich die Kraft und Energie von AI entfaltet, ist der sogenannte „4-D-Zyklus”. Er ist der Leitfaden der Veränderung:
- Discovery: Erforschen was gut funktioniert und wo die Potenziale liegen
- Dream: Erfinden wie es sein könnte, wenn alle Potenziale aktiviert sind
- Design: Entwerfen einer Brücke in die gewünschten Zukunft
- Destiny: Die gewünschte Zukunft nachhaltig verwirklichen
Dies geschieht mittels eines “wertschätzenden Interviews”, das jeweils zwei Personen miteinander führen. Dies ist Basis und das Herzstück eines jeden AI- Prozesses.
Ziel der Interviews ist es, positive Qualitäten der Menschen und des Unternehmens auszusprechen und Geschichten über Erlebnisse und Ereignisse in den Entwicklungsfeldern zu erzählen, die mit den besten Gefühlen, Ergebnissen und Erinnerungen verbunden sind.
Um diese vier Phasen optimal durchführen zu können, braucht es zuvor eine Definition dessen, was Thema und Fokus der Untersuchung sein soll.
Beispiel: Wir wollen ein besseres Führungsteam werden.
1. Discovery: Erforschen und verstehen was gut funktioniert
Ausgerichtet auf attraktive Ziele folgt eine Forschungsreise zu den Ressourcen, den Erfolgen und Höhepunkten in der Vergangenheit, die in Bezug auf diesen (Problem)Bereich schon erlebt wurden.
Diese Phase dient dazu, die Stärken und Potenziale jedes Einzelnen und des ganzen Systems bewusst zu machen und für den Weg der Lösungen zu nutzen.
Die Frage kann also lauten: Wann hast du in der Vergangenheit das Gefühl gehabt, eine sehr gute Führungskraft gewesen zu sein.
Diese Geschichte notiert sich der Interviewpartner. Er hakt nach und will so detailliert wie möglich verstehen, was da passiert ist.
Auf so eine Art Gespräch muss man sich einlassen. Es ist also wichtig, dem Gegenüber Vertrauen auszustrahlen und den Freiraum zu gewähren, gewisse Dinge nicht zu erzählen. Lässt man sich aber darauf ein, dann sind Die Interviews in der Regel ein inspirierendes Erlebnis für beide Partner.
Die beteiligten Personen kommen einander nicht nur näher, sondern die Mitteilungen berühren zuweilen gegenseitig auch sehr tief. Der Befragte selbst wird durch seine eigenen Antworten ermutigt und inspiriert.
Die Notizen des Interviewpartners sind wichtig, damit du oder der Moderator im Workshop die Werte und Bedürfnisse herausarbeiten können, die dann für alle sichtbar und nutzbar gemacht werden.
2. Dream: Erfinden, wie es sein könnte, wenn alle Potenziale aktiviert sind
Aus den Ergebnissen der Interviews wurden einige wenige Schwerpunktthemen ermittelt, welche die Basis für die weiteren Schritte bilden.
Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie sieht eine möglichst optimale Zukunft für uns als Führungsteam aus?
Jetzt werden Wünsche vertieft und Bilder und Visionen entworfen, was und wie es sein könnte. Welche Schätze und Stärken sollen in die Zukunft getragen werden?
Es entsteht ein positives, herausforderndes, attraktives und gleichzeitig auch erreichbares Zukunftsbild. Die Zukunft, die hier entworfen wird, ist sowohl bodenständig und realistisch als auch visionär. Sie gründet auf Beispielen aus der Vergangenheit und weist gleichzeitig neue Wege.
3. Design: Entwerfen einer Brücke in die gewünschte Zukunft
In einem nächsten Schritt wird auf Basis der Visionen präzise formuliert, was entstehen soll – wie bei einem Architekten, der aus den Träumen und Vorstellungen des Bauherrn einen konkreten Entwurf für das Haus macht.
Die einfache Frage „Was wird sein?” steht hier im Mittelpunkt.
Gute Zukunftsstatements sind:
- provokativ – herausfordernd und gehen deutlich über das bisher Erreichte hinaus,
- „geerdet“ – da nachvollziehbare Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass es möglich ist,
- bejahend formuliert – sie beschreiben, was sein soll und nicht, was nicht sein soll,
- ausdrucksstark – sie haben Anziehungskraft,
- motivierend – sie stellen eine attraktive Zukunft dar,
- in der Gegenwartsform formuliert – das unterstützt in unserem Gehirn die Umsetzungskraft.
Zukunftsstatements beschreiben Idealvorstellungen, regen die Kreativität an und stellen bisherige Muster und Annahmen in Frage. Sie sind sozusagen die „Blaupause“ für die gewünschte Zukunft.
Hier einige Beispiele für wirksame Zukunftsaussagen:
- -Jeder übernimmt zu jeder Zeit die 100prozentige Verantwortung für das Gelingen.
- Unser Managementstil ist offen, beteiligungs- und ergebnisorientiert
- Fairness und Respekt in uns Potenziale weckt
- Getragen von der Freude am Wir, durch alle Gezeiten, gestalten wir eine großartige Zukunft
- Frei, inspiriert und fokussiert gelingt es einfach.
Diese kraftvollen Aussagen bringen immer wieder plakativ in Erinnerung, worum es geht und für was alle einstehen.
4. Destiny: Die gewünschte Zukunft nachhaltig verwirklichen
Es werden nächste Schritte und Maßnahmen entwickelt. Doch: Umsetzung im Rahmen von AI ist viel mehr, als das normale „wer macht was bis wann …“.
Mit der Schubkraft der Zukunftsstatements werden konkrete Vereinbarungen, Pläne und operative Projektstrukturen entwickelt.
Hat eine Organisation die vier Phasen wirklich ergriffen und auf die beschriebene Art durchlaufen, wird sie wertschätzende Strukturen, Prozesse, Abläufe, Meetingformen, Feedbackschleifen etc. etabliert haben, die eine neue Kultur des Miteinanders nähren.
Stärken stärken – Mein Fazit
Im besten Falle ist Appreciative Inquiry ein fortlaufender Prozess, bei dem für das Erreichen einer gewünschten Zukunft immer wieder Kraft aus den vorhandenen Ressourcen geschöpft wird.
Es bietet einen strukturierte Prozess, um Veränderungen fest zu etablieren. Allerdings braucht es auch Überzeugung und Mut sich darauf einzulassen.
Wenn ihr dabei etwas mehr Unterstützung braucht, dann helfe ich Euch gerne im Rahmen eines Coachings oder eines Workshops weiter.
Wenn ihr das ganze Nachlesen wollt, dann gibt es in den Shownotes einen Link zu meinem Blog. Dort findet ihr auch eine Lernkarte zum Appreciative Inquiry.
Mir bleibt nicht mehr viel übrig als euch eine schöne Restwoche zu wünschen. Bis zur nächsten Folge.
Zum Weiterlesen „Stärken stärken“:
Appreciative Inquiry Handbook von David L. Cooperrider, Diana Whitney, Jacqueline M. Stavros, ISBN-10: 1576754936
Appreciative Inquiry. Der Weg zu Spitzenleistungen von Matthias zur Bonsen und Carole Maleh ISBN-10: 3407365128